In einer szene des Historien-Dramas Ben Hur, so heißt es, trage der Hauptdarsteller Charlton Heston eine Armbanduhr. Diese Anekdote wird gerne als beispiel für Fehler im fiktionalen Diskurs angeführt: Der Film spielt in den ersten Dekaden unserer Zeitrechnung, zu Lebzeiten Jesus, und da gab es nun mal keine armbanduhren. Doch bei Nähe betrachtet ist die Sache weniger eindeutig: Ben Hur hat nie existiert, er ist das Produkt der Phantasie des Autors Lew Wallace (beziehungsweise, in der Filmversion, des Regisseurs William Wyler). Damit hat der Autor aber auch die Freiheit, Ben Hurs Eigenschaften nach belieben festzulegen: er bestimmt (wenn er es für nötig hält) die Haarfarbe, die Körpergröße, das Gewicht, die Charaktereigenschaften, die Familienverhältnisse etc. Ben Hurs – es gibt keinen Sachverhalt in der realen Welt, der diese Zuschreibungen wahr oder falsch machen könnte. Folglich müsste es dem autor auch möglich sein, wenn er will, Ben Hur eine Armbanduhr um sein fiktives Handgelenk zu legen. Die Rezipienten könnten das als eine unglückliche oder ästhetisch fragwürdige Festlegung ansehen; nicht aber als eine, die im strengen sinne als falsch beziehungsweise als Fehler bezeichnet werden könnte. In meinem beitrag gehe ich der Frage nach, ob Fehler im fiktionalen kontext überhaupt möglich sind; ob, in anderen Worten, der Autorität des autors Grenzen gesetzt sind, und, wenn ja, wie diese Grenzen ausgemacht werden können. Im ersten Abschnitt stelle ich eine in der Philosophie weit verbreitete konzeption der Literatur, den Antikognitivismus, vor und zeige, dass dieser eine sehr starke Version der These von der Autorität des Autors impliziert. Im zweiten Abschnitt werde ich die Gegenposition, den Kognitivismus, skizzieren und darauf hinweisen, dass diese Position Einschränkungen der dichterischen Freiheit erlaubt. Nach einer Diskussion einiger konkreter beispiele von Fehlern im fiktionalen Kontext werde ich im dritten und letzten Teil die Frage diskutieren, ob, und wenn ja, welche krite- rien es für Fehler im fiktionalen Diskurs gibt.

Fehler im fiktionalen Diskurs. Grenzen der dichterischen Freiheit / Huemer, Wolfgang Andreas. - (2010), pp. 211-227.

Fehler im fiktionalen Diskurs. Grenzen der dichterischen Freiheit

HUEMER, Wolfgang Andreas
2010-01-01

Abstract

In einer szene des Historien-Dramas Ben Hur, so heißt es, trage der Hauptdarsteller Charlton Heston eine Armbanduhr. Diese Anekdote wird gerne als beispiel für Fehler im fiktionalen Diskurs angeführt: Der Film spielt in den ersten Dekaden unserer Zeitrechnung, zu Lebzeiten Jesus, und da gab es nun mal keine armbanduhren. Doch bei Nähe betrachtet ist die Sache weniger eindeutig: Ben Hur hat nie existiert, er ist das Produkt der Phantasie des Autors Lew Wallace (beziehungsweise, in der Filmversion, des Regisseurs William Wyler). Damit hat der Autor aber auch die Freiheit, Ben Hurs Eigenschaften nach belieben festzulegen: er bestimmt (wenn er es für nötig hält) die Haarfarbe, die Körpergröße, das Gewicht, die Charaktereigenschaften, die Familienverhältnisse etc. Ben Hurs – es gibt keinen Sachverhalt in der realen Welt, der diese Zuschreibungen wahr oder falsch machen könnte. Folglich müsste es dem autor auch möglich sein, wenn er will, Ben Hur eine Armbanduhr um sein fiktives Handgelenk zu legen. Die Rezipienten könnten das als eine unglückliche oder ästhetisch fragwürdige Festlegung ansehen; nicht aber als eine, die im strengen sinne als falsch beziehungsweise als Fehler bezeichnet werden könnte. In meinem beitrag gehe ich der Frage nach, ob Fehler im fiktionalen kontext überhaupt möglich sind; ob, in anderen Worten, der Autorität des autors Grenzen gesetzt sind, und, wenn ja, wie diese Grenzen ausgemacht werden können. Im ersten Abschnitt stelle ich eine in der Philosophie weit verbreitete konzeption der Literatur, den Antikognitivismus, vor und zeige, dass dieser eine sehr starke Version der These von der Autorität des Autors impliziert. Im zweiten Abschnitt werde ich die Gegenposition, den Kognitivismus, skizzieren und darauf hinweisen, dass diese Position Einschränkungen der dichterischen Freiheit erlaubt. Nach einer Diskussion einiger konkreter beispiele von Fehlern im fiktionalen Kontext werde ich im dritten und letzten Teil die Frage diskutieren, ob, und wenn ja, welche krite- rien es für Fehler im fiktionalen Diskurs gibt.
2010
9783643502421
Fehler im fiktionalen Diskurs. Grenzen der dichterischen Freiheit / Huemer, Wolfgang Andreas. - (2010), pp. 211-227.
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/11381/2336089
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